Stellungnahme: Gut gemeint, schlecht gemacht – Die Solidaritätserklärung der LUH trifft auch regimekritische Wissenschaftler*innen

[you can find the english translation below]

 

Im Zuge des Angriffskrieges durch Russland auf die Ukraine wurden vom Präsidium der Leibniz Uni Hannover mehrere offizielle Statements getätigt. In diesen wird sich stark gegen den Angriffskrieg positioniert, die völkerrechtliche Verletzung gegenüber der Ukraine wird als solches anerkannt und verurteilt.

Die Universität bezeichnet sich selbst in dem Statement vom 24 Februar 2022 als „weltoffene Universität, als Gemeinschaft, die nach wissenschaftlicher Erkenntnis strebt und zur nachhaltigen, friedlichen und verantwortungsbewussten Lösung zentraler Zukunftsaufgaben beitragen will“, und betont, dass „die Freiheit von Lehre und Forschung, der grenzüberschreitende Austausch von wissenschaftlicher Erkenntnis und von Studierenden, Lehrenden und Forschenden“ [1] ein „Grundpfeiler“[1] im Wertesystem der Uni sei. Das Statement endet in Solidaritätsbekundungen sowohl gegenüber der ukrainischen als auch der russischen Bevölkerung.

Wir begrüßen die starke Positionierung der Universitätsleitung gegen den Ukrainekrieg und die Solidaritätsbekundungen. Allerdings hat das Präsidium am 2 März 2022 ein weiteres Statement veröffentlicht, indem die Entscheidung der Uni „alle Kooperationen mit Russland ab sofort und bis auf Weiteres ruhen zu lassen“ mitgeteilt wurde. Es sollen „Sämtliche Aktivitäten mit Russland, die institutionellen und strategischen Verbindungen mit russischen Einrichtungen“ bis aufs weitere eingestellt werden.

Diese neuen Entscheidungen sind antithetisch zu den vorherigen Aussagen des Präsidiums, in denen zurecht die Rolle internationaler Kooperation für wissenschaftliches Arbeiten betont wird. Es leuchtet außerdem nicht ein, wieso zwar die Unschuld der russischen Bevölkerung anerkannt wird, dies aber nicht zu solidarischen Maßnahmen, sondern zu Isolation führt. Wir halten es für einen Fehler, sich an den Empfehlungen der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD), das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und dem Minister für Wissenschaft und Kultur nachzukommen, die fordern, „die Kooperationsbeziehungen mit russischen Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen bis auf Weiteres auf dem Stand vor Beginn der Kriegshandlungen zu belassen („einzufrieren“)“. [2]

Am 24. 02.2022 wurde eine gemeinsame Stellungnahme von russischstämmigem Wissenschaftler*innen veröffentlicht, die bereits von mehr als 7.000 Forschenden unterschrieben wurde. In dieser wird sich klar gegen den Angriffskrieg auf die Ukraine positioniert, für diesen gäbe es „keine rationale Rechtfertigung“. Die alleinige Kriegsschuld Russlands wird anerkannt und ein sofortiger Stopp „aller gegen die Ukraine gerichteten Militäroperationen“, „die Achtung der Souveränität und territorialen Integrität des ukrainischen Staates“ und „Frieden für unsere Länder“ werden gefordert. Es wird außerdem festgestellt, dass dieser Angriffskrieg zu internationaler Isolation führen wird, was bedeutet, dass unter anderem die Wissenschaftler*innen ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen können, „denn wissenschaftliche Forschung ist ohne die umfassende Zusammenarbeit mit Kollegen aus anderen Ländern undenkbar.“ Diese Isolation von der Welt bedeutet einen „weiteren kulturellen und technologischen Abstieg unseres Landes in völliger Abwesenheit positiver Perspektiven“ [3]

An dieser Stelle sei auf Prof. Mikhail Katsnelson verwiesen, einer der Forschenden, die das Statement unterschrieben haben. Er sagt in einem Interview mit dem Deutschlandfunk, dass das gegenwärtige Regime in Moskau das Ziel verfolgt, Russland komplett zu isolieren, und man ihnen dabei nicht helfen sollte. Aus diesem Grund sollte es den russischen Forscher*innen möglich sein, mit der weltweiten Wissenschaftsgemeinschaft zu kommunizieren. Er hält es für falsch, Menschen aufgrund ihrer Nationalität zu sanktionieren, denn das würde dem Regime nur in die Hände spielen. [4]

Die Wissenschaftler*innen, die in Russland selbst leben gehen eine große Gefahr ein, indem sie diesen Brief unterschreiben. Politische Dissident*innen in Russland sind permanenter Gefahr ausgesetzt, Aktivist*innen kommen ins Gefängnis oder verschwinden einfach, regimekritische Stimmen werden vom Staat gewaltsam unterdrückt. Eben diese Stimmen sollten internationale Unterstützung bekommen und verstärkt werden, statt sie zu boykottieren, weil sie die „falsche Nationalität“ haben. Dieser Schritt untergräbt letztlich den oppositionellen Widerstand der Bevölkerung Russlands gegen den Krieg und das Regime. Eine langfristige Veränderung der Verhältnisse kann nur durch einen politischen Machtwechsel innerhalb Russlands erreicht werden.

Der akademische Boykott, den der DAAD, das BMBF und der Minister für Wissenschaft und Kultur vorschlagen geschieht nicht in einem Vakuum, sondern im Kontext von mehreren Boykotts von russischen Läden, der Entfernung russischer Lebensmittel aus deutschen Supermarktketten etc. sowie einem zunehmenden antislawischen Rassismus in Deutschland, der nicht das gemeinte russische Regime trifft, sondern russischstämmige Menschen, die keine Schuld tragen.

Aus diesem Grund halten wir die vorgeschlagenen Maßnahmen der Leibniz Universität Hannover für kontraproduktiv. Wir sind der Meinung, dass die Universität so viel wie möglich kritische Stimmen aus Russland unterstützen sollte und ihren russischen Kolleg*innen nicht in den Rücken fallen sollte. Ein Abbruch der Zusammenarbeit spielt dem russischen Regime in die Hände und hilft den betroffenen Ukrainer*innen nicht, schadet aber sowohl der Wissenschaftlichen Arbeit als auch der russischen Bevölkerung.

Wir solidarisieren uns mit den Aufständigen in Russland und den ukrainischen Betroffenen des russischen Angriffskrieges.

[1] https://www.uni-hannover.de/de/universitaet/aktuelles/online-aktuell/details/news/statement-der-hochschulleitung-zum-russischen-angriff-auf-die-ukraine/

[2] http://go.lu-h.de/OeOr4

[3] https://www.br.de/nachrichten/kultur/7000-russische-wissenschaftler-empoert-krieg-ist-sinnlos,Sz3IMbj

[4] https://www.deutschlandfunk.de/russische-forscher-und-der-krieg-in-der-ukraine-100.htm

 

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Statement: Well-intentioned, poorly done – LUH’s declaration of solidarity also affects scientists critical of the regime

In the course of the war of aggression by Russia on Ukraine, several official statements were made by the presidium of Leibniz University Hannover. In these statements, the university positions itself strongly against the war of aggression, and the violation of international law against Ukraine is recognized and condemned as such.
In the statement of February 24, 2022, the university describes itself as a „cosmopolitan university, a community that strives for scientific knowledge and wants to contribute to the sustainable, peaceful and responsible solution of central tasks for the future,“ and emphasizes that „the freedom of teaching and research, the cross-border exchange of scientific knowledge and of students, teachers and researchers“ [1] is a „cornerstone“[1] in the university’s value system. The statement ends in expressions of solidarity with both the Ukrainian and Russian populations.
We welcome the strong positioning of the university leadership against the Ukrainian war and the expressions of solidarity. However, on March 2, 2022, the Presidium issued another statement, communicating the university’s decision to „suspend all cooperation with Russia effective immediately and until further notice.“ „All activities with Russia, institutional and strategic links with Russian institutions“ are to be suspended until further notice.
These new decisions are antithetical to the previous statements of the Presidium, which rightly emphasized the role of international cooperation for scientific work. Moreover, it is not clear why the innocence of the Russian people is recognized, but this does not lead to solidarity measures, but to isolation. We think it is a mistake to follow the recommendations of the German Academic Exchange Service (DAAD), the Federal Ministry of Education and Research (BMBF) and the Minister of Science and Culture, which demand „to leave („freeze“) the cooperation relations with Russian universities and scientific institutions at the level before the beginning of the hostilities until further notice.“ [2]
On 24.02.2022, a joint statement of Russian-born scientists* was published, which has already been signed by more than 7,000 researchers. In this statement, they clearly oppose the war of aggression on Ukraine, saying that there is „no rational justification“ for it. The sole war guilt of Russia is acknowledged and an immediate stop of „all military operations directed against Ukraine“, „respect for the sovereignty and territorial integrity of the Ukrainian state“ and „peace for our countries“ are demanded. It is also stated that this war of aggression will lead to international isolation, which means that, among other things, scientists* will no longer be able to pursue their work, „because scientific research is unthinkable without extensive cooperation with colleagues from other countries.“ This isolation from the world means a „further cultural and technological decline of our country in the complete absence of positive prospects“ [3].
At this point we should refer to Prof. Mikhail Katsnelson, one of the researchers who signed the statement. He says in an interview with Deutschlandfunk that the current regime in Moscow is pursuing the goal of completely isolating Russia, and they should not be helped in this. For this reason, Russian researchers* should be able to communicate with the global scientific community. He believes it is wrong to sanction people based on their nationality, because that would only play into the hands of the regime. [4]
The scientists* living in Russia itself are taking a great risk by signing this letter. Political dissidents in Russia are exposed to permanent danger, activists are imprisoned or simply disappear, voices critical of the regime are violently suppressed by the state. It is precisely these voices that should receive international support and be strengthened, instead of boycotting them because they have the „wrong nationality“. This move ultimately undermines the oppositional resistance of the people of Russia against the war and the regime. A long-term change in conditions can only be achieved through a change of political power within Russia.

The academic boycott proposed by the DAAD, the BMBF and the Minister of Science and Culture is not happening in a vacuum, but in the context of several boycotts of Russian stores, the removal of Russian food from German supermarket chains, etc., as well as an increasing anti-Slavic racism in Germany, which does not affect the Russian regime meant, but Russian-born people who are not to blame.
For this reason, we consider the proposed measures of Leibniz Universität Hannover to be counterproductive. We believe that the university should support as much as possible critical voices from Russia and not stab its Russian colleagues in the back. Breaking off the cooperation plays into the hands of the Russian regime and does not help the Ukrainians concerned, but harms both the scientific work and the Russian population.
We stand in solidarity with the rebels in Russia and the Ukrainian victims of the Russian war of aggression

[1] https://www.uni-hannover.de/de/universitaet/aktuelles/online-aktuell/details/news/statement-der-hochschulleitung-zum-russischen-angriff-auf-die-ukraine/

[2] http://go.lu-h.de/OeOr4

[3] https://www.br.de/nachrichten/kultur/7000-russische-wissenschaftler-empoert-krieg-ist-sinnlos,Sz3IMbj

[4] https://www.deutschlandfunk.de/russische-forscher-und-der-krieg-in-der-ukraine-100.htm

 


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